Von Wasser, Wind und Eis geformte Gebirgslandschaft
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Die Nereidum Montes sind ein Teil des nördlichen Randgebirgs des Einschlagsbeckens Argyre Planitia. Mit einem Durchmesser von 1800 Kilometern und einer Tiefe von bis zu fünf Kilometern ist Argyre das zweitgrößte Einschlagsbecken auf dem Mars (das größte ist Hellas Planitia). Ähnlich wie die Alpen auf der Erde erstreckt sich die Gebirgskette der Nereidum Montes in einem langgestreckten Bogen über 1100 Kilometer parallel zum Beckenrand. Einzelne Bergmassive sind, wie auch in Europas Hochgebirge, bis zu viertausend Meter hoch.
Allerdings ist der Entstehungsprozess der irdischen Alpen ganz anders verlaufen als beim Ringgebirge der Nereidum Montes auf dem Mars. Letztere sind ursprünglich das Ergebnis eines extrem großen Asteroideneinschlags. Dieser war so gewaltig, dass er nicht nur ein schüsselförmiges und mehrere Kilometer tiefes Becken entstehen ließ, sondern auch zum Rand hin mehrere konzentrische Gebirgsringe, die durch tektonische Rutschungsprozesse ganzer Geländeblöcke terrassenförmig ausgeprägt sind. Die europäischen Alpen hingegen wurden durch die Kollision der afrikanischen Kontinentalplatte mit der eurasischen Platte zu einem Faltengebirge von fast 5000 Metern Höhe aufgeschoben. Es wächst übrigens auch heute noch immer um etwa einen Zentimeter pro Jahr, die aber gleichzeitig wieder abgetragen werden.
Als der Mars noch nicht von Raumsonden aus der Nähe untersucht wurde, waren selbst mit den stärksten Teleskopen von der Erde aus nur große Landschaftsformen erkennbar. Dazu zählte auch das Argyre-Becken, dessen Topographie aus den teleskopischen Beobachtungen allerding nicht abgeleitet werden konnte. Nach zwei mythischen Inseln benannt, nämlich Chryse und Argyre, die Plinius der Ältere (23-79 n. Chr.) im Indischen Ozean nahe der Indusmündung lokalisierte und denen große Vorkommen von Gold (gr. chrysos) und Silber (argyros) zugeschrieben wurde, flossen diese Namen in die ersten kartographischen Werke des Mars ein.
Vor allem machte sich Giovanni Schiaparelli (1835-1910) um die erste detaillierte Kartierung des Mars verdient, der die Nähe des Mars zur Erde 1877 für intensive Beobachtungen nutzte. Damals wurde auch die "Goldene Ebene", Chryse Planitia, weiter im Norden, in die Nomenklatur übernommen. Die Nereides Montes, die "Berge der Nereiden" (benannt nach den 50 Töchtern des Nereus, einem Meeresgott in der griechischen Mythologie, und seiner Gemahlin Doris, der Tochter des Oceanos und der Tethys) erhielten ihre Bezeichnung erst im Raumfahrtzeitalter, als auch kleinere regionale Strukturen identifiziert werden konnten.
Auf den HRSC-Bildern zeigt sich eine, nach der Entstehung des Ringbeckens Argyre vor etwa vier Milliarden Jahren von verschiedenen geologischen Prozessen geprägte Region, in der Wasser, Eis (auf und unter der Oberfläche) und in jüngerer Zeit auch Wind ihre Spuren der Erosion hinterlassen haben. Ursprünglich war Argyre viel tiefer als dies heute der Fall ist. Erodiertes Gestein wurde von Gletschern und fließenden Gewässern in das Becken transportiert und füllte es nach und nach auf.
Ein markantes Netz von kleinen, verästelten Tälern in der rechten Bildhälfte (im Bild Farbaufsicht) zeugt von Wasser, das vom Rand Argyres über die Oberfläche ins Innere des Beckens geflossen ist. Es stammte entweder von Regenfällen in der Frühzeit des Mars oder von geschmolzenem Gletschereis. Diese Entwässerungsnetze dokumentieren bis heute die wasserreiche Vergangenheit des Mars.
Seit langem wird intensiv darüber diskutiert, ob es in der Frühzeit des Mars tatsächlich ein deutlich wärmeres und feuchtes Klima gab, das einen Wasserkreislauf auch mit Niederschlägen und einem Gewässernetz auf der Oberfläche über einen längeren Zeitraum – oder auch nur episodisch – ermöglichte. Denkbar ist auch, dass die dünne Atmosphäre bei kaum vorhandenem Treibhauseffekt nur niedrige Temperaturen erlaubte, die eher zu eiszeitlichen Prozessen mit allenfalls dem Niederschlag von Schnee und damit verknüpften glazialen Phänomenen führte. Es könnte dann durch Vulkanismus oder regionale Asteroideneinschläge sporadisch zu Tauprozessen gekommen sein, die das Eis an der Oberfläche und im Untergrund schmolzen und auf diesem Weg fließendes Wasser mobilisierten.
Neueste Erkenntnisse belegen, dass die zahlreichen ausgetrockneten Flusstäler auf dem Mars durch mindestens vier verschiedene Abflussprozesse gebildet worden sind: Oberflächenabfluss durch Niederschlag, abschmelzende Gletscher, subglazialer Abfluss unterhalb von Gletscherpaketen und austretendendes Grundwasser (was wiederum durch abschmelzendes Bodeneis gebildet worden sein könnte). Die Nereidum Montes sind ein "Schlüsselgebiet", in dem diese Hypothesen gut überprüft werden können. Aufgrund seiner Morphologie ist hier am ehesten von einem glazialen Ursprung, also dem Abschmelzen von Gletschereis, auszugehen.
Die meisten Einschlagskrater in diesem Gebiet sind mit einem Material angefüllt, das ein auffälliges, konzentrisches Muster auf der Oberfläche aufweist. Derartige Strukturen deuten auf Gletscher hin, die von Gesteinsschutt bedeckt sind, sogenannte Blockgletscher. Auch in den Tälern zwischen den Gebirgszügen sind diese Formen als großflächige Ablagerung zu erkennen. Es wird vermutet, dass diese Landschaftsformen noch immer Wassereis in größerer Tiefe unter einer Schuttschicht verbergen, die eine Sublimation, also ein Verdampfen des Eises beim niedrigen Gasdruck der Marsatmosphäre, verhindern.
Nicht zuletzt zeugen dunkle Dünenfelder in der linken Bildhälfte (im Bild Farbaufsicht) von der Kraft des Windes und seiner Fähigkeit, Sandkörner über weite Strecken und um Hindernisse herum zu transportieren. Die gräulich-schwärzlichen Dünensande, die auf dem Mars sehr häufig vorkommen, sind vulkanischen Ursprungs. Das heißt, sie bestehen hauptsächlich aus alter, zeitweise begrabener vulkanischer Asche, die oftmals durch Einschläge aus dem Marsuntergrund an die Oberfläche gebracht wurde. Außerdem enthalten diese Sande oft Fragmente zerkleinerten Lavagesteins und vulkanisches Glas. All diese Materialien bestehen aus dunklen, vulkanisch entstandenen Mineralen, die durch die zeitweise Bedeckung im Marsuntergrund nicht wie andernorts durch Wasser zu helleren Mineralien umgewandelt wurden, was die schwärzliche Farbe der Dünensande erklärt.
Anhand der Dünentypen lässt sich auch ganz einfach die Richtung des Windes ableiten, der die jeweiligen Dünen geformt hat: In diesem Beispiel sind deutlich vereinzelte Sicheldünen (sogenannte Barchane) zu erkennen, die am Ende des Tals zu einem barchanoiden Dünenfeld verwachsen sind. Der Wind kam in diesem Fall von Südosten (unten links im Bild Farbaufsicht), wehte in das Tal hinein, trieb die Sande vor sich her und lagerte den Großteil des Materials am Fuße der Berge ab.