Unterschätzte Disziplin - Paläontologen als Zukunftsforscher gefragt.
Unterschätzte DisziplinPaläontologen als Zukunftsforscher gefragt
Von Susanne Billig [Radiobeitrag ZEITFRAGEN, Deutschlandradio Kultur - 02.07.2015]
Paläontologen befassen sich nicht nur mit Dinosauriern oder anderen ausgestorbenen Tieren. Ihre Forschungen an alten Gesteinen bringen auch wichtige Erkenntnisse für die Baustoffindustrie und für die Klimaforschung.
Junge Forscher/innen: "Das Großartige an der Paläontologie ist: Es gibt immer etwas Neues zu entdecken. Ständig machen Sie neue Entdeckungen, entwickeln neue Methoden, wollen neue Fragen beantworten. Es ist wirklich ein aufregendes Fach. Mich interessiert das Fach, weil es tausende von Arten gibt, abgelagert in einem sehr langen Zeitraum, in dem sich das Klima geändert hat. Für mich als Wissenschaftler ist das großartig! Man kann quantitativ werden - und ich will herausfinden, wie die Welt auf Klimaveränderungen reagiert hat. Weil uns das vielleicht etwas darüber erzählt, was heute passiert."
Auf der internationalen Fachtagung in Berlin standen sie mit ihren Postern Spalier – junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt, davon überzeugt, am Puls der Zeit zu forschen. Ehrlich gesagt – auch ich kannte die Paläontologie bis dahin in erster Linie so: Dinosaurier brüllen.
Die Dino-Manie ist wunderbar. Denn dank Jurassic World, Jurassic Park, egal wie die Filme heißen, interessieren sich nun Schülerinnen und Schüler für das Erdaltertum. Leider strickt das Hollywood-Klischee auch an dem Vorurteil mit, die Paläontologie sei ein Fach für Exoten. In den letzten Jahren verschwanden Dutzende von Professuren – zu traditionell, zu wenig ökonomisch verwertbar, hieß es bei Sparmaßnahmen. Was ist dran an den Vorurteilen?
Forschen auf dem Tibetplateau und in der Kalahariwüste
Frank Riedel: "Da haben wir uns auch ein Stück weit von Physikern, Mathematikern beiseite drängen lassen, die einfach offensichtlich besser in der Lage sind, ihre Themen zu verkaufen, und da müssen wir einfach klarer machen: Ohne aus der Vergangenheit zu lernen, können wir ganz einfach keinen Blick in die Zukunft werfen. Das ist vollkommen ausgeschlossen."
Mit seinem Team schwärmt Frank Riedel, Professor an der Freien Universität Berlin, in die halbe Welt aus, erforscht auf dem Tibetplateau das Monsunsystem und bohrt Proben in der Kalahariwüste. Der Paläontologe sieht sein Fach in einer gesellschaftspolitischen Verantwortung, zum Beispiel in Afrika. Den derzeitigen Klimamodellen für den Kontinent fehlt jede solide Datenbasis. Das möchte er gemeinsam mit dem Deutschen Geoforschungszentrum und dem Deutschen Archäologischen Institut ändern. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Affenbrotbaum, der bis zu zweitausend Jahre alt wird.
Urzeitfunde einer 240 Millionen Jahre alten Ur-Schildkröte Pappochelys (Opaschildkröte) am 25.06.2015 im Löwentormuseum in Stuttgart. Paläontologen haben bei Schwäbisch Hall das Fossil der ältesten Schildkröte der Welt gefunden. (picture alliance / dpa / Foto: Daniel Naupold)
"Den benutzen wir als historisches Archiv, um die Klimageschichte hoch auflösend, das heißt bis in die Saisonalität, Regenzeit, Trockenzeit, zumindest für die letzten tausend Jahre auszuwerten, und wenn uns das gelingt, das wird viele Jahre dauern, aber dann haben wir wirklich die Klimadebatte dort auf einen neuen Weg gebracht, so dass die Leute auch regional wissen, was könnte auf sie zukommen."
Der Paläontologe erzählt, wo sein Fach überall unverzichtbar ist. Erstaunlicherweise in der Baustoffindustrie – vor Urzeiten haben Korallen und Muscheln Kalke gebildet. Diese Fundstätten kann niemand besser aufspüren als Paläontologen. Dasselbe gilt für Öl und Kohle, besonders seit die Vorkommen immer geringer werden. Aber auch in der Wissenschaft, in Großforschungseinrichtungen und in geologischen Landesämtern findet man die Forscher. Fast scheint es, als wären Paläontologen überall.
"Aber die meisten Jobs gibt's mit Sicherheit in den Naturkundemuseen, weil die Naturkundemuseen zoologische, mineralogische, also geologische und paläontologische Abteilungen haben und weil die Paläontologen dort besonders gut die Brücken schlagen können."
Profitiert von der Dino-Leidenschaft
Nichts wie hin ins Naturkundemuseum Berlin. Und auch hier werden Klischees zumindest vordergründig bedient, gleich im großen Eingangsbereich gigantische Dinosaurierskelette.
Eins beeindruckender als das andere. Und bevor ich mich von Infoboard zu Infoboard arbeite, nimmt mich Dr. Manja Voss mit in ihr Büro. Nicht ohne mit Blick auf den einschüchternden Fünfzig-Tonnen-Brachiosaurus über uns zu erklären, wie sehr das weltweit angesehene Forschungsmuseum von der Dino-Leidenschaft profitiert. Doch es geht um mehr und das sollte auch offensiver betont werden. Manja Voss ist auf ausgestorbene Meeressäugetiere spezialisiert. Eine große Holzkiste steht in ihrem Büro.
"Ja, das ist der Sarg, dieser Robbe. Nein, tatsächlich: Wir sehen hier ein fast vollständig erhaltenes Robbenskelett. Es ist ein Jungtier, das auch in den Ablagerungen eingebettet ist, in den man es gefunden hat."
Die dunklen Knochenreste sehen beeindruckend alt aus.
"Also diese Robbe, die stammt aus Peru, und die hat vor vierzehn Millionen Jahren gelebt, und dass es sich hier um ein Jungtier handelt, das kann man sehr gut erkennen, zum Beispiel wenn man sich diesen wunderbar erhaltenen Schädel anschaut. So eine dreidimensionale Erhaltung ist extrem selten, das ist einzigartig. Und was ich in meinem weiteren Forschungsvorhaben zum Beispiel vorhabe, ist, dass ich diesen Schädel mal einen Computertomografen schiebe und mir da das Schädelinnere anschaue. Die schädelinterne Struktur kann uns ganz viele Rückschlüsse zum Beispiel auf das Gehirn, auf die Ausgestaltung des Gehirns lehren."
Wie die Erforschung uralter Fossilien plötzlich aktuelle Bedeutung gewinnen kann, zeigt genau Manja Voss‘ Forschung. Derzeit leben auf der Erde noch vier Arten von Seekühen, alle vom Aussterben bedroht. Die Paläontologin ist auf dem besten Weg, ein neues Verfahren zu entwickeln, mit dem sich sicherstellen lässt, dass im Rahmen des Artenschutzes nur reinrassige Seekühe in die freie Natur entlassen werden, keine Mischformen, die die jetzigen Bestände gefährden könnten. Bislang geht das nur über kostenintensive DNA-Analysen.
"Und über meine Arbeit habe ich nun möglicherweise einen Weg gefunden, wie man Hybride einfacher und auch kostengünstiger bestimmen kann. Nämlich indem ich mir die Skelette dieser Tiere anschaue."
Artenschutz. Baustoffforschung. Dringend benötigtes Klima-Wissen, damit sich Bevölkerungen auf Dürren und Überschwemmungen besser vorbereiten können. Und eben Dinosaurierforschung. All das ist Paläontologie.
Paläontologie erforscht das Erdaltertum – aber sie blickt dabei in die Zukunft.