Welche Verantwortung trägt die Wissenschaft?
News vom 10.12.2019
Diskussion im Rahmen der Berlin Science Week über die Rolle von Forscherinnen und Forschern in der Öffentlichkeit
09.12.2019
Der Klimawandel ist eine wissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Herausforderung. Um etwa Vorhersagen über die Erderwärmung und deren Folgen treffen zu können, arbeiten Forscherinnen und Forscher mit hochkomplexen Modellen. Gleichzeitig erfordert der politische Diskurs möglichst eindeutige und leicht verständliche Botschaften, um zu gesellschaftlich umsetzbaren Lösungen zu gelangen. Wissenschaft und Politik, so scheint es manchmal, sprechen eine andere Sprache. Wie aber lässt sich zwischen ihnen vermitteln? Und wie sollten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verhalten, wenn sie in der politischen Sphäre agieren? Darüber diskutierten im Rahmen der Berlin Science Week Natur- und Sozialwissenschaftler am Institut für Meteorologie der Freien Universität.
„Seit den ‚Fridays for Future‘-Demonstrationen ist der Klimawandel auf der politischen Agenda — hat die Bewegung geschafft, was die Wissenschaft nicht erreicht hat?“, lautete die Einstiegsfrage von Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des Deutschen Klima-Konsortiums. An diesem Abend moderierte sie die Gesprächsrunde mit fünf Professoren der Freien Universität Berlin.
Wie neutral sollte Wissenschaft sein?
Ein Dreh- und Angelpunkt der Diskussion war die Gegenüberstellung von „ehrlichem Makler“ (honest broker) und „Anwalt einer Sache“ (issue advocate). Die Unterscheidung geht auf den amerikanischen Politikwissenschaftler Roger Pielke zurück. Während der „ehrliche Makler“ neutral vermittelt und verschiedene Optionen aufzeigt, tritt der „Anwalt einer Sache“ mit einer bestimmten Haltung auf. Welche Rolle sollen also Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Klimadebatte einnehmen?
„Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, zu handeln, umzusetzen oder durchzusetzen“, sagte Michael Schneider, Professor für Hydrogeologie am Institut für Geologische Wissenschaften. „Unsere Aufgabe ist es, unabhängig Daten zu erheben, zu verifizieren und zu falsifizieren. Aber natürlich auch, Vorschläge zu machen, die umsetzbar sind.“ Uwe Ulbrich stimmte zu: „Wir können sagen, was unseren Erkenntnissen nach wahrscheinlicher oder angemessener ist“, sagte der Professor am Institut für Meteorologie und Dekan des Fachbereichs Geowissenschaften. „Aussagen jenseits dessen kann man als politisch aktiver Bürger machen, aber nicht als Wissenschaftler.“
Helmut Aust, Professor für Öffentliches Recht und die Internationalisierung der Rechtsordnung am Fachbereich Rechtswissenschaft, plädierte dafür, die wissenschaftliche Position in den politischen Dialog einzubringen, aber nicht zu verabsolutieren. Politische Entscheidungen müssten demokratisch ausgehandelt und nicht allein von Experten bestimmt werden. „Wir sind aber schon auch mal gefragt, der Politik auf den Wecker zu fallen“, mahnte Paläontologieprofessor und Anthropozänforscher Reinhold Leinfelder vom Institut für Geologische Wissenschaften. „Und ich glaube fast, dass wir früher auf die Straße hätten gehen sollen.
Normative Argumente sauber kennzeichnen
Die Diskussion am Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin war nur eine von 140 Veranstaltungen im Rahmen der Berlin Science Week. Bildquelle: Bernd Wannenmacher
Martin Voss versuchte, zwischen beiden Positionen zu vermitteln. „Ein Argument ist für die Politik nur dann brauchbar, wenn es anschlussfähig an die Wählerinnen und Wähler ist“, sagte der Soziologieprofessor. Mit oft hochkomplexen wissenschaftlichen Fachargumenten allein habe man in der Klimafrage deshalb derzeit keine guten Karten. „Die Vielschichtigkeit der Argumente und Gegenargumente lässt keine einfache Botschaft zu — und gerade deshalb muss man auch mal das Renommee der eigenen Person ins Spiel bringen, wenn man als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler auf Grundlage von allem, was man gelernt hat, zu einer Überzeugung gelangt ist.“ Wenn es sauber gekennzeichnet sei, dann könnte auch die Wissenschaft normative Argumente machen – aber vermengt werden dürfe das nicht, betonte Voss.
Uwe Ulbrich merkte an, dass politischer Wandel erst dann zu einer breiten Umsetzung von Maßnahmen führen könne, wenn brauchbare Lösungsvorschläge auf dem Tisch liegen. Das zeige die Erfolgsgeschichte im Kampf gegen Treibgase. „Es war klar, dass es ein Ozonloch gibt und dass das mit Treibgasen zu tun hat“, sagte er. „Aber erst als man technische Möglichkeiten geschaffen hatte, die Treibgase zu ersetzen, da ging es voran.“ Auch in der Klimafrage müsse die Politik für Angebote sorgen, die den Bürgerinnen und Bürgern ein klimafreundliches Handeln erleichterten.
Fest stand an diesem Abend: Die Wissenschaft darf nicht lockerlassen, den Dialog mit der Politik zu suchen. „Wir müssen nicht nur eine Übersetzungsleistung hinbekommen, sondern mit unserem fachlichen Wissen schon auch zum ‚Anwalt für die Sache’ werden“, sagte Reinhold Leinfelder. „Es gibt da einen Verantwortungsimpetus.“
Dennis Yücel