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Die Umwelt während der Ausbreitung anatomisch moderner Menschen über Nordasien vor 50.000 bis 10.000 Jahren

Das Altai-Gebirge trägt heute noch eine Mischung aus alpiner Tundra, Steppe und Wäldern, die schon vor Jahrtausenden eine artenreiche Fauna trug und die ersten anatomisch modernen Menschen anzog.

Das Altai-Gebirge trägt heute noch eine Mischung aus alpiner Tundra, Steppe und Wäldern, die schon vor Jahrtausenden eine artenreiche Fauna trug und die ersten anatomisch modernen Menschen anzog.
Bildquelle: DAI

News vom 22.06.2021

Was wissen wir und was wüssten wir gerne?

Nordasien – hier: Gebiet der Russischen Föderation östlich des Urals – spielte eine Schlüsselrolle bei der Ausbreitung des anatomisch modernen Menschen über den gesamten Osten des eurasischen Kontinents und weiter nach Amerika. Das Erstaunliche daran ist, die Menschen kamen in dieses unwirtliche Gebiet während der Eiszeit und blieben selbst dann noch, als die Temperaturen ihren tiefsten Punkt erreichten. Warum? Was verlockte sie und was überzeugte sie zu bleiben?

Im Moment deuten alle Funde darauf hin, dass anatomisch moderne Menschen (Homo sapiens) als ersten Anlaufpunkt in Sibirien die Ausläufer des Altai-Gebirges erreichten, und zwar bereits vor 48.000-45.000 Jahren, also nur wenig später als die Levante, weshalb man von einem schnellen Vorstoß ausgeht. Von dort drangen sie vor ca. 47.000-43.000 Jahren nach Norden an den Irtysch-Fluss, vor 44.000-42.000 Jahren an den Baikal-See und danach in die Einzugsgebiete der Flüsse Angara, Lena und Selenga, bis in die Arktis und nach Sachalin vor. Die schnelle Besiedlung wirft zwei faszinierende Fragen auf: Was trieb oder zog sie in den kalten Norden und warum blieben sie als es noch kälter wurde?

Eine zunehmende Anzahl von Paläoumwelt- und Paläoklimastudien aus Nordasien hat unser Bild der späteiszeitlichen Landschaften dieser ausgedehnten Region verändert. In diesem neuen Artikel fassen wir das gegenwärtige Wissen über die Art und insbesondere die Produktivität der Vegetation, die die Megafauna und ihre menschlichen Jäger ernährte, und über das Klima, das ein derart produktives Ökosystem hervorbrachte, zusammen und zeigen, bei welchen noch offenen Fragen unsere Forschung ansetzt.

Die heute schon verfügbaren Daten beweisen, dass es generell mehr Vegetation gab als lange angenommen, und dass das Territorium sogar während des letzten glazialen Maximums, des sogenannte Hochglazials mit den tiefsten Jahres-Durchschnittstemperaturen, vor ca. 30.000-18.000 Jahren keineswegs eine reine Kältewüste war. Lange für nicht plausibel gehalten, doch nun mehrfach bestätigt, zeigen die Paläoklimarekonstruktionen für die Zeit zwischen 50.000 und 10.000 Jahren höhere Sommertemperaturen als heutige Durchschnittswerte, in einigen Regionen sogar um einige Grad Celsius. Die warmen Sommer brachten in den meisten Gebieten, auch den kältesten Zonen der sibirischen Arktis, ein Mosaik aus Steppe und Tundra mit diversen Gesellschaften von Kräutern, Gräsern und Stauden hervor. Sogar winterharte Bäume wie Birken, Lärchen, Fichten und Kiefern wuchsen in kleinen Gunsträumen. Wie die Faunenreste am Fundplatz Mal’ta nördlich des Baikal-Sees zeigen, trugen diese Landschaften ein artenreiches Tierleben, darunter Großsäuger wie Wollnashorn, Mammut, Steppenbison, Schneeschaf, Rentier, Rotwild und Pferd, diverse Nagetiere und Vögel, und in den Flüssen und Seen Fische, Muscheln und Schnecken.

Niederschlag fiel nur wenig. Das heißt, im Winter blieben die Landschaften fast schneefrei und hielten die Weidetiere und damit auch ihre Jäger am Leben. Dieses in allen Jahreszeiten üppige Nahrungsangebot glich anscheinend die Nachteile der extremen Winterkälte aus. Nordasien war vor 50.000 Jahren nicht unwirtlich, im Gegenteil, es hatte viel zu bieten.

Momentan haben wir aber nur ein grob gerastertes Bild. Was fehlt und worum es in unseren Forschungsprojekten geht, sind Studien einerseits zur Saisonalität und zur Quantität der entscheidenden Klimaparameter wie Temperatur und Niederschlag an Plätzen, die repräsentativ für größere Regionen sind. Verschiedene Umweltinformationen können aus den Resten von Pflanzen, Zuckmücken (Chironomiden), Muschelkrebsen (Ostrakoden), Kieselalgen (Diatomeen) mit verschiedenen technischen Verfahren „ausgelesen“ werden.

Andererseits wollen wir prüfen, in welchem Maße die Menschen z.B. durch Feuer die Verbreitung von Wäldern begrenzten und aktiv in die Landschaftsentwicklung eingriffen. Im Fokus steht Südsibirien, weil es der Dreh- und Angelpunkt auch für die Besiedlung Ostasiens war.

Dieser Artikel ist aus dem Projekt „ESSEN in einer Welt im Wandel: Mensch • Klima • Landschaft in Nordostasien“ im Förderprogramm GROUNDCHECK: Cultural Heritage and Climate Change des DAI hervorgegangen:

Tarasov, P. E., Leipe, C., Wagner, M. (2021) Environments during the spread of anatomically modern humans across Northern Asia 50–10 cal kyr BP: What do we know and what would we like to know? Quaternary International 596, 155-170. https://doi.org/10.1016/j.quaint.2020.10.030

Der Artikel kann bis zum 06. August 2021 frei von dieser Seite heruntergeladen werden.

Kontakt:
Pavel Tarasov
E-Mail: ptarasov@zedat.fu-berlin.de

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