Der Mars steht Kopf
Dieses außergewöhnliche Bild der vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebenen, hochauflösenden Stereokamera HRSC an Bord der ESA-Raumsonde Mars Express zeigt einen Blick über die Nordhemisphäre des Mars von der Nordpoleiskappe am unteren Bildrand bis zum Äquator am Horizont. Es entstand bei der Eichung oder "Kalibration" der Kamera am 19. Juni 2017. Kalibrationen müssen im Missionsverlauf immer wieder durchgeführt werden, um die Qualität der Bilddaten über den langjährigen Einsatz der Kamera zu gewährleisten. Am 25. Dezember jährt sich die Ankunft von Mars Express an unserem Nachbarplaneten zum 14. Mal - die Sonde wird dann ihren 17.700sten Umlauf um den Mars fliegen.
Nordhemisphäre Farbansicht
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Gewöhnlich werden globale Ansichten von Planeten so dargestellt, dass sich der Nordpol oben und der Südpol unten befinden. Nicht so in diesem HRSC-Bild, das aus großer Höhe entstanden ist, während die Raumsonde Mars Express von Norden nach Süden flog. Mars Express hat eine sogenannte polständige Umlaufbahn, das bedeutet, die Sonde bewegt sich in langgestreckten Ellipsen. Diese führen in einer gegenüber dem Äquator um 87 Grad geneigten Bahn fast direkt über beide Pole und verlaufen so von Nord nach Süd beziehungsweise von Süd nach Nord über den Planeten. Dabei nähert sich Mars Express bei jedem Umlauf der Planetenoberfläche gegenwärtig bis auf 344 Kilometer an, um sich nach dem Nahvorbeiflug wieder auf 8850 Kilometer vom Mars zu entfernen. Ein Umlauf dauert sieben Stunden. Aufgrund des Sonnenstands zum Zeitpunkt der Aufnahme, dem Nordfrühling, befindet sich der beleuchtete Horizont nahe des Äquators am oberen Bildrand. Die Tag-Nacht-Grenze, in der Astronomie als "Terminator" bezeichnet (vom Lateinischen 'Terminus', Grenze) befindet sich am Nordpol, weshalb die Eiskappe am unteren Bildrand im Schatten liegt.
Die Sensoren der HRSC-Kamera wurden bei dieser Kalibrationsaufnahme in einer Schwenkbewegung über ein weit ausgedehntes Gebiet geführt. Darum nennt man diese Art von Aufnahmen im Englischen auch "broom calibration", weil das Gesichtsfeld der lichtempfindlichen, quer zur Flugbewegung angeordneten Kamerazeilen wie ein breiter Pinselstrich über die Oberfläche geführt wird. So scannen alle Sensoren, anders als bei den normalen Aufnahmen für die systematische Kartierung des Mars, die Oberfläche unter demselben Beobachtungswinkel ab. Dies dient zur Eichung der einzelnen Sensoren: Bei der HRSC sind es je vier nach vorne und vier nach hinten schräg auf die Oberfläche gerichtete Farb- und Stereokanäle und ein üblicherweise senkrecht auf die Planetenoberfläche gerichteter Nadirkanal, der die höchste Auflösung erzielt.
Nordhemisphäre Übersichtskarte Viking
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Der weite Sichtbereich des Bildes ermöglicht einen seltenen Blick auf mehrere große Marsvulkane in der Vulkanprovinz Tharsis, die sich wie ein mächtiger, bis zu fünf Kilometer nach oben gewölbter Schild von der Größe Europas, erhebt. Wärme- und Magmaproduktion in Tharsis hängen wahrscheinlich mit mehreren großen Magmablasen im Untergrund zusammen. Die aus dem Marsmantel nach oben steigenden Magmablasen und das hohe Gewicht der vulkanischen Gesteinsschichten setzten die Marskruste in der Vergangenheit unter Spannung. So entstanden zahlreiche tektonische Risse, Brüche und Spalten auf dem Tharsis-Schild sowie in den Randzonen.
Im Bildzentrum ist der Vulkan Alba Mons (aus dem Lateinischen 'alba', für Weiß) als heller Fleck zu erkennen, umgeben von tektonischen Störungen. Mit einem Durchmesser von über 1000 Kilometern ist er einer der Vulkane mit der größten Basisfläche auf dem Mars. Die zahlreichen, von Süd nach Nordost verlaufenden Gräben rund um Alba Mons entstanden möglicherweise durch die Absenkung der Marskruste, nachdem sich die darunter befindliche Magmakammer entleert hatte, in Kombination mit einer durch die Aufwölbung des Tharsis-Schildes verursachten Krustendehnung.
Nordhemisphäre Übersichtskarte MOLA mit Höhenangabe
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Selbst die kleineren Vulkane Uranius Mons, Ceraunius Tholus und Tharsis Tholus am linken (östlichen) Bildrand sind für irdische Verhältnisse mit Durchmessern über 100 Kilometer und mehreren Kilometern Höhe immer noch gigantisch. Nahe dem Horizont ist der von hauchdünnen Wolken aus Eiskristallen umgebene, 15 Kilometer hohe Vulkan Ascraeus Mons zu erkennen, der sich über einige hundert Kilometer erstreckt. Dünne Schlieren über dem Horizont sind Wolken, die sich in mindestens 35 Kilometern Höhe befinden.
Schließlich taucht am unteren Bildrand die Nordpoleiskappe aus dem Schatten auf, die zum überwiegenden Teil aus Wassereis und Staub besteht, zum Zeitpunkt der Aufnahme aber auch einen breiten Ring aus Kohlendioxideis besitzt (weitere Informationen über den Marsnordpol sowie ein Überflug über die Nordpoleiskappe). Da das Farbbild zu Beginn des Frühlings aufgenommen wurde, ist das im Winter entstandene Kohlendioxideis noch nicht wieder vollständig sublimiert: Bald wird es vom festen in den gasförmigen Zustand übergehen und als Kohlenstoffdioxidgas in die Atmosphäre entschwinden, wenn die Jahreszeiten fortschreiten. Die permanente Eiskappe besitzt dann aber immer noch ein beachtliches Volumen von 1,2 Millionen Kubikkilometern, was in etwa der Hälfte der Grönlandeiskappe entspricht.
Aufnahmeprinzip der HRSC auf Mars Express
Bildverarbeitung und das HRSC-Experiment auf Mars Express
Die Aufnahmen mit der HRSC (High Resolution Stereo Camera) entstanden am 19. Juni 2017 während Orbit 17050 von Mars Express. Die Auflösung im Bildzentrum beträgt ungefähr einen Kilometer pro Bildpunkt (Pixel). Die Bildmitte liegt bei etwa 249° östlicher Länge und 65° nördlicher Breite. Die Farbansicht wurde aus dem Nadirkanal und den Farbkanälen der HRSC erstellt. Die Umgebungskarten basieren auf Daten der Viking Mission und des Mars Orbiter Laser Altimeter (MOLA) Experiments an Bord der Mars Global Surveyor (MGS) Mission der NASA.
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Bildrechte
Images: ESA/DLR/FU Berlin, CC BY-SA 3.0 IGO
Übersichtskarte in Regenbogenfarben: NASA/MGS/MOLA Science Team, FU Berlin
Übersichtskarte in Marsfarben: NASA/Viking, FU Berlin
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Die High Resolution Stereo Kamera wurde am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt und in Kooperation mit industriellen Partnern gebaut (EADS Astrium, Lewicki Microelectronic GmbH und Jena-Optronik GmbH). Das Wissenschaftsteam unter Leitung des Principal Investigators (PI) Prof. Dr. Ralf Jaumann besteht aus 52 Co-Investigatoren, die aus 34 Institutionen und 11 Nationen stammen. Die Kamera wird vom DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin-Adlershof betrieben.