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„Was bedeutet Wissenschaftsfreiheit für Sie?“ - Vier persönliche Einblicke aus verschiedenen Fachrichtungen

News vom 25.04.2019

Was bedeutet Wissenschaftsfreiheit für Sie?

Vier persönliche Einblicke aus verschiedenen Fachrichtungen

Tagesspiegel-Beilage vom 27. April 2019

Beatrice Gründler, Professorin für Arabistik
Bildquelle: David Ausserhofer

BEATRICE GRÜNDLER, PROFESSORIN FÜR ARABISTIK

Kürzlich richteten mehrere Berliner Forschungseinrichtungen gemeinsam eine Tagung zur arabischen Papyrologie aus. Zum Konferenz-Empfang lud die Botschaft eines arabischen Landes ein. Bei der Zusammenstellung der Gästeliste erfuhr ich, dass Bürger eines Staates (es war Katar) allerdings nicht dabei sein durften: Jene Kulturgemeinschaft, die einst anderthalb Jahrtausende Westasien und Nordafrika umspannte, wo eben nicht nur Ideen und Bücher frei zirkulierten, sondern gerade auch Menschen. Eine Kulturgemeinschaft also, die regelrecht durch die Idee von Mobilität geprägt war, ist heute wegen politischer Schranken zu einem Flickenteppich geworden. Viele Fachkolleginnen und -kollegen sind damit von internationaler Kooperation ausgeschlossen. Hier schafft die Freie Universität Berlin einen Gegenraum, wo wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hermetischen Staatsgrenzen zum Trotz miteinander arbeiten können.

Klaus Mühlhahn, Professor für Sinologie
Bildquelle: Bernd Wannenmacher

KLAUS MÜHLHAHN, PROFESSOR FÜR SINOLOGIE

In meiner Tätigkeit als Chinawissenschaftler und Vizepräsident der Freien Universität Berlin bin ich in vielen Ländern mit Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit konfrontiert. Ursachen sind zumeist politische oder ideologische Restriktionen. Daneben können aber auch wirtschaftliche oder finanzielle Faktoren die Freiheit der Wissenschaft beschneiden. Aus vielen privaten Gesprächen weiß ich, wie sehr die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Restriktionen leiden, und zwar persönlich wie beruflich. Fertige Arbeiten können nicht publiziert werden und liegen in der Schublade. Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich tief verunsichert und können über die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht diskutieren. Trotzdem arbeiten viele beharrlich weiter und weigern sich auf diese Art, dem Druck nachzugeben. Diese Menschen brauchen unsere Solidarität: Kooperation über Grenzen hinweg unter schwierigen Bedingungen schafft gerade für bedrängte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wichtige Freiräume.

Reinhold Leinfelder, Professor für Paläontologie
Bildquelle: Privat

REINHOLD LEINFELDER, PROFESSOR FÜR PALÄONTOLOGIE

Was Wissenschaftsfreiheit heißt, lernte ich als Diplomand bei der Untersuchung 150 Millionen Jahre alter Einzeller kennen: nämlich die Möglichkeit zu stark spezialisierter Forschung. Doch was hatte die Welt davon? Von Anfang an vermisste ich inter- und transdisziplinäre Bezüge, wie sie schon Alexander von Humboldt geknüpft hatte. Deshalb erweiterte ich meinen Forschungshorizont: von fossilen Lebewesen zu heutigen Riffen und ihren aktuellen Umweltproblematiken, von der Geo- und Biosphäre zur Technosphäre, von der tiefen Erdgeschichte in die Zukunftsforschung und von der Wissenschaftskommunikation in die Politikberatung. Ein Schlüsselerlebnis für mich war im Jahr 2010 die Vorstellung des Buchs „Menschenzeit“ des Wissenschaftsjournalisten Christian Schwägerl im Naturkundemuseum Berlin. Spätestens seit dieser Zeit ist mein Hauptarbeitsfeld das Anthropozän, also das von Menschen beeinflusste Erdzeitalter, das Teile aus Natur-, Technik-, Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften zu einem Ganzen zusammenfügt. Es sind diese Entwicklungsfreiheiten, für die ich sehr dankbar bin.

Christoph Benzmüller, Professor für Informatik
Bildquelle: Privat

CHRISTOPH BENZMÜLLER, PROFESSOR FÜR INFORMATIK

In meinem Kernarbeitsgebiet, der Wissensrepräsentation und Inferenz, das ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz, stellte ich mich vor 20 Jahren dem „Mainstream“ entgegen und erforschte fortan die Automatisierung ausdrucksstarker Logiksprachen. Ich konnte damals nur erahnen, wie risikobehaftet dieser Entschluss sein würde, ohne Netz und doppelten Boden, gegen den Rat der Fachkollegen. Neues Denken trifft auf etablierte Positionen, verankert in vernetzten akademischen Strukturen. Diese zu durchdringen, benötigt oft mehr als wissenschaftliche Expertise. Die Freiheit, bestehendes Denken infrage stellen zu können, ist für mich jedoch höchstes Gut und Antriebsfeder zugleich. Vorsicht ist aber geboten: Der Einsatz ist hoch, und beglichen wird dieser nicht selten von der Familie oder dem Partner. Segen und Fluch wissenschaftlicher Freiheit können eng zusammenrücken.

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