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„Die Politik muss schnell handeln!“ Reinhold Leinfelder über Scientists for Future

News vom 28.04.2019

„Die Politik muss schnell handeln!“

Reinhold Leinfelder über Scientists for Future

29.04.2019

Tagesspiegel-Beilage vom 27. April 2019

Reinhold Leinfelder ist Paläontologe am Fachbereich Geowissenschaften der Freien Universität Berlin.

Reinhold Leinfelder

Bildquelle: Jan Evers

Herr Professor Leinfelder,welche Ziele verfolgt Scientists for Future?

Scientists for Future ist im Zusammenhang mit den Fridays-for-Future-Schulstreiks entstanden. Die Schülerinnen und Schüler haben sich an unsWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gewandt, um ihre Forderungen auf naturwissenschaftliche Richtigkeit überprüfen zu lassen.

Wir möchten sie unterstützen und den Politikern klarmachen, dass die Forderungen der Jugendlichen mehr als berechtigt sind. Es muss schnell gehandelt werden! Gregor Hagedorn, promovierter Bioinformatiker am Museum für Naturkunde in Berlin,war federführend bei der Gründung von Scientists for Future in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Inzwischen hat die Bewegung in vielen Ländern Zulauf, die Unterschriftenliste wächst.

Welche Rolle spielen Sie bei der Initiative?

Ich gehöre zu den Textautoren, also zu denjenigen, die die wissenschaftlichen Daten zusammengetragen, überprüft und die Stellungnahme auf der Webseite scientists4future.org präsentiert haben. Daneben bin ich Erstunterzeichner der deutschsprachigen und der internationalen Initiative. Aber ich habe auch vorher schon seit fast 30 Jahren mit Schulen in unterschiedlichstenUmweltprojekten zusammengearbeitet.

Sie beschäftigen sich als Wissenschaftler mit der Bedrohung von Riffen durch den Klimawandel – was lässt sich an deren Zustand ablesen?

Riffe sind als Produkt einer Hunderte von Millionen Jahren andauernden Evolution ein faszinierendes Ökosystem. Sie sind aber auch ein Abbild so ziemlich aller schädlichen Umwelteingriffe durch den Menschen, die inzwischen immense Ausmaße erreicht haben: Sie leiden unter der Vermüllung der Meere mit Plastik, unter zu hohem Nährstoffeintrag, der Überfischung und vielem mehr.

In ihren Kalkskeletten zeichnen Riffkorallen den jährlichenTemperaturverlauf sehr präzise und über Hunderte von Jahren auf. Riffe sind also Klima- und Umweltarchive und von großer Bedeutung für das wissenschaftliche Verständnis des Klimawandels. Bein regelmäßig hohen Wassertemperaturen bleichen Riffe aus und sterben schließlich ab.

Um die Dringlichkeit des Handelns zu illustrieren, verweisen Klimaschützer gern auf die Uhrzeit: Wie spät ist es bereits?

Es ist fast schon müßig darüber zu diskutieren, ob es noch fünf vor zwölf ist oder schon fünf nach zwölf. Die Forschungsbefunde zeigen, dass wir das umweltstabile Erdsystem, das für die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung der Menschheit so wesentlich war, bereits unwiderruflich
verlassen haben. Das darf aber kein Grund zu fatalistischem Aufgeben sein: Schließlich ist ein Weiter-wie-bisher keine Alternative. Wir müssen dringend weg von fossilen Energien und vom katastrophalen Einweg-Ressourcenverbrauch, damit wir eine Chance haben, das Erdsystem noch so zu gestalten, dass es auch zukünftige Generationen dauerhaft trägt. In diesem Sinne haben die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future jeden Grund, das Umsetzen politisch beschlossener Ziele, etwa das Pariser Abkommen von 2015, dringend und mit Nachdruck einzufordern.

Welchen Einfluss erhoffen Sie sich von Scientists for Future auf die Politik?

Anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung zu globalen Umweltveränderungen (WBGU) im Mai 2012 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel uns Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern folgenden Rat gegeben: „Bleiben Sie hartnäckig und – ich möchte es etwas lax sagen – fallen Sie uns Politikern manchmal auch auf den Wecker.“ Das nehmen wir gerne wörtlich. Vielleicht hat die Wissenschaft in den vergangenen Jahren zu selten oder zu wenig hartnäckig darauf hingewiesen, worum es in der Klimakrise geht. Auch daran erinnern uns nun Greta Thunberg und alle streikenden Schülerinnen und Schüler zu Recht. Dass sich die Wissenschaften ihrer gesellschaftlichen Verantwortung wieder stärker bewusst werden, dass sich neben Scientists for Future weitere Gruppen bilden wie Parents for Future oder Artists for Future, macht Hoffnung, dass die Politik nun endlich handelt.

Die Fragen stellte Christine Boldt

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